Nadine Zwingel
Man hat ja sonst nichts zu tun
Aktualisiert: 15. Juni 2020
Bali. Endlich geht es los. Erst zwei Stunden nach Frankfurt. Dann sechs Stunden nach Dubai und von dort innerhalb weiterer neun Stunden ins Paradies. Macht 17 Stunden Sitzfleischtraining, bei dem man aus Langeweile vor allem eines tut: Essen! Also zuerst mal die typisch deutschen Brotzeitstullen ausgepackt. Vier Stück, weil man weiß ja nie! Beim Essen vergeht die Zeit. Und da man das Schlingen noch aus der Kindheit kennt, schnell runter damit. Kauen wird eh überbewertet. Wahnsinn. Acht Minuten hab ich dadurch schon mal „verflogen“. Und jetzt? Da hör ich auch schon die Stewardess mit ihrem Wagen klappern. Mürrisch arbeitet sie sich von Reihe zu Reihe. Eigentlich hab ich ja keinen Hunger mehr, aber was soll’s. Gibt ja sonst nichts zu tun. Reis, Hühnchen, Gemüse, Saft und Wasser. Als Dessert ein Pudding und kleine Kekse mit Käse. Diesmal versuche ich mir mehr Zeit zu lassen. Mindestens eine Stunde kaue ich also auf den Snacks herum und schaue mir dabei einen Film an. Brav sitzen die Passagiere in ihrem fliegenden Hühnerkäfig und warten. Zum ersten Mal in meinem Leben wird das Fliegen plötzlich wie Busfahren. Irgendwann vergisst man das Spektakel in der Luft und starrt nur noch vor sich hin. Die Vorfreude auf das Ziel mildert das Masthuhn-Gefühl zum Glück etwas.

„Noch nie war Aufstehen so ein Luxus"
Landung in den Vereinigten Arabischen Emiraten – die ersten sechs Stunden Flug sind geschafft und ich kämpfe mich staunend durch Dubais Flughafen. Erstmal 'nen Kaffee, bevor es ins nächste Flugzeug geht. Durch die Zeitverschiebung ist es inzwischen mitten in der Nacht. Und noch während ich überlege, ob eine weitere Koffeinkur wirklich so klug ist, da ich vielleicht auch irgendwann mal schlafen sollte, zeigt mir die Kasse beim Umrechnen 18 Euro an. Shit! Dies wird also der teuerste Kaffee, den ich je getrunken habe. Also jeden Schluck besonders genießen! Wäre da nicht die Anzeigentafel, die mich ermahnt, fix zum Gate 28 zu rennen, wenn ich den Anschluss nicht verpassen will. Also doch wieder schnell runter mit dem Gesöff, dabei noch die Zunge verbrannt und zum Gate gerannt. Gerade noch geschafft. Meine Zunge pulsiert, aber die Aufregung auf Bali lässt mich den Schmerz schnell vergessen. Wieder sitze ich am Fenster. Fasziniert schaue ich mir die Lichter Dubais an, bis ich schließlich zum ersten Mal einnicke. Nach zwei Stunden wache ich auf. Es gibt Essen. Ich bin zwar noch voll – aber es gibt ja wieder mal sonst nichts zu tun. Obwohl es noch mitten in der Nacht ist, servieren uns die (diesmal sehr freundlichen) balinesischen Flugbegleiterinnen das Frühstück: Käseomelett, Spinat, Mais und Croissant mit Saft, Kaffee und Muffin Karamell. Ich kaue noch langsamer, als beim letzten Mal. Inzwischen habe ich bereits drei Spielfilme gesehen und mein Bauch fühlt sich an, wie ein aufgeblähter Dudelsack. Womit könnte ich mir noch die Zeit vertreiben? Ich tippe meiner Augen rollenden Nachbarin zum fünften Mal an die Schulter, damit sie mich auf die Toilette lässt. Während ich ihr meinen Hintern also wiederholt ins Gesicht recke, um mich an ihr vorbeizuquetschen, spüre ich endlich meine Beine wieder. Aufstehen. Noch nie war Aufstehen so ein Luxus. Ich warte weiter.

Nachdem ich nun 14 Stunden hauptsächlich sitzend unterwegs bin, schrecken die vielen müden Flugzeuggesichter erneut hoch. Es gibt – wie könnte es auch anders sein – wieder einmal Essen. Endlich. Man hat ja sonst nichts zu tun. Bewege ich meinen Kiefer diesmal noch langsamer, kaue ich wahrscheinlich rückwärts. Bissen für Bissen quäle ich mich also durch die Flugzeugmahlzeit. Warum lehne ich das Menü nicht einfach ab, frage ich mich. Ich kaue trotzdem. Nach 17 Stunden Transfer, vier riesigen Sandwichstullen, zwei Mittagessen, einem Frühstück, vier Filmen, einem Hörspiel und ca. acht Toilettenbesuchen erblicke ich endlich den Flughafen in Denpasar. Ich kann mein Glück kaum fassen. Und mein Bauch wohl auch nicht, denn er rumort gewaltig. Endlich bin ich am anderen Ende der Welt. Und ich lege erst einmal einen Fastentag ein.